Der Mythos von Vitamin D und Nierensteinen

Vitamin D ist ein entscheidender Faktor des Kalziumstoffwechsels und essentiell für die Resorption des Knochenminerals. Extrem hohe Dosen des Sonnenhormons und Vitamin D-Spiegel weit jenseits von 100 ng/ml aufwärts stehen im Verdacht, Hyperkalzämie zu verursachen und damit die Manifestation von Nierensteinen zu begünstigen. Doch ist die Angst vor Vitamin D in diesem Zusammenhang berechtigt?

 

Die Entstehung von Nierensteinen geht tendenziell mit einer verstärkten Kalziumabsorption im Darm, einer erhöhten Kalziumausscheidung im Urin und einem übermäßigen Knochenmineralverlust einher. Obwohl an all diesen Prozessen direkte Wirkungen von aktivem Vitamin D beteiligt sind, ist die Auswirkung der Einnahme von Vitamin D auf den Kalziumhaushalt bei Steinbildnern (Menschen, mit der Tendenz Nierensteine zu bilden) immer noch ungeklärt. Klar ist jedoch, dass ein Vitamin D-Mangel bei Steinbildnern weit verbreitet ist (1).

Dass Vitamin D den Kalziumhaushalt reguliert und in extrem hohen Dosen zu einer Hyperkalzämie führen kann, wird von Vitamin D-Kritikern häufig als Argument gegen die Sicherheit des Sonnenhormons in Bezug auf Nierensteine angeführt. Denn Hyperkalzämie wird als Risikofaktor für Nierensteine gesehen. Eine Vielzahl von wissenschaftlichen Untersuchungen konnte jedoch keine Korrelation zw. normalen Vitamin D-Dosen (bis 10.000 I.E. täglich) und Hyperkalzämie nachweisen.

Zum Thema Hyperkalzämie in Zusammenhang mit Vitamin D haben wir einen eigenen Artikel verfasst, klicken Sie hier um ihn zu lesen!


Laut Studienlage kein Einfluss von Vitamin D auf Nierensteine

Auch der wichtigste Indikator für Nierensteine, nämlich Kalzium im Urin, konnte in verschiedenen Studien nicht mit einer erhöhten Vitamin D-Zufuhr oder Einnahme in Verbindung gebracht werden. Es gibt kaum Hinweise darauf, dass die Einnahme von Vitamin D in normalen Dosierungen bei gesunden Menschen das Risiko für Nierensteine erhöht.

Bei der groß angelegte NHANES-Studie III mit dem Titel „Zusammenhang zwischen Vitamin D und Nierensteinen“, handelt es sich um eine große bevölkerungsbasierte Querschnittsstudie in den USA mit mehr als 16.000 Probanden. Bei der Datenerhebung konnten weder höhere Vitamin D-Spiegel bei Patienten mit Nierensteinen festgestellt werden, noch war die Gruppe mit den höchsten Vitamin D-Spiegeln vermehrt von Nierensteinen betroffen.
Die Schlussfolgerung der Autoren lautet daher: Hohe Vitamin D-Spiegel sind bei NHANES III-Teilnehmern nicht mit einer vorherrschenden Nierensteinerkrankung verbunden (2).

Des weiteren zitieren wir eine aussagekräftige Studie des amerikanischen GrassroothHealth-Kollektivs aus dem Jahr 2014. Die Untersuchung umfasste 2012 Teilnehmer, die im Durchschnitt 19 Monate lang prospektiv beobachtet wurden. Dreizehn Personen gaben während des Studienzeitraums selbst an, Nierensteine ​​zu haben.
Ergebnisse: Es wurde kein statistisch signifikanter Zusammenhang zwischen Vitamin D im Serum und Nierensteinen gefunden. Stattdessen war der Body-Mass-Index signifikant mit dem Nierensteinrisiko (Faktor 3,5) verbunden.
Schlussfolgerung der Forscher: Vitamin D-Spiegel von 20 bis 100 ng/ml haben keinen signifikanten Zusammenhang mit der Häufigkeit von Nierensteinen (3).

Forscher untersuchten im Rahmen einer englisch-italienischen Studie aus dem Jahr 2017, ob die Verabreichung von 20.000 I.E. Vitamin D wöchentlich über einen Zeitraum von 4 Monaten Auswirkungen auf die Kalziumausscheidung mit sich bringt. Obwohl die Vitamin D-Spiegel bei den 37 Probanden im Schnitt von 19,4 ng/ml auf 52,7 ng/ml anstiegen, konnte keine signifikante Erhöhung des Kalziums im Urin nachgewiesen werden (4).

Eine iranische Interventionsstudie aus dem Jahr 2019 mit 30 Probanden, die an Vitamin D-Mangel litten und bei denen außerdem Nierensteine in der Vorgeschichte festgestellt wurden, kommt zu ähnlichen Ergebnissen. Die Teilnehmer bekamen zwei Monate lang 50.000 I.E. Vitamin D pro Woche verabreicht, was einer Tagesdosis von ca. 7000 I.E. entspricht. Danach wurde die gleiche Dosis alle 2 Wochen verabreicht. Der durchschnittliche Vitamin D-Spiegel stieg dabei von mangelhaften 10,4 ng/ml auf 44 ng/ml.
Ergebnis: Trotz der stark angestiegenen Vitamin D-Werte, gab es keine signifikanten Auswirkungen auf die Menge des Kalziums im Urin (5).


Fazit zu Vitamin D und Nierensteine

Obwohl Vitamin D lt. aktueller Studienlage keine oder kaum negative Auswirkungen auf Nierensteine hat, empfehlen wir prädisponierten Steinbildnern besonders auf die Cofaktoren Vitamin K2 und Magnesium zu achten und unnötig hohe Dosen von mehr als 4000-5000 I.E. langfristig nur dann einzusetzen, falls der begründete Verdacht auf eine Vitamin D-Resistenz besteht. Magnesium sollte in diesem Fall als Citrat in einer Dosierung von mind. 300 – 400 mg täglich zugeführt werden.
Als Sicherheitsvorkehrung kann zu Beginn einer Vitamin D-Einnahme der Kalzium-Spiegel im Blut, sowie der Kalziumanteil im Urin engmaschig kontrolliert werden, um Unregelmäßigkeiten im Kalziumstoffwechsel frühzeitig zu erkennen.


Vitamin D-Cofaktoren spielen wichtige Rolle

Vitamin D sollte wenn möglich immer mit den Cofaktoren Magnesium und Vitamin K2 eingenommen werden. Warum dem so ist, erfahren Sie in unseren jeweiligen Artikeln:

Bei diagnostizierten Nierensteinen und bei erhöhtem Risiko Nierensteine zu entwickeln, könnten die beiden Vitamin D-Cofaktoren aber eine ganz besondere Rolle spielen.


Vitamin K2 – das Knochenvitamin optimiert den Kalziumstoffwechsel

Oxalatsäure (Oxalat), die häufig in pflanzlichen Nahrungsmitteln vorkommt, gilt als eine der Hauptursachen für die häufigste Form der Nierensteine, die Kalziumoxalatsteine. Diese Art der Nierensteine bildet sich durch die Bindung von Kalzium und Oxalsäure im Blut.

Insbesondere die MK-7-Form des Vitamin K2 und Vitamin D wirken zusammen, um Kalzium in Knochen und Hartgewebe richtig zu platzieren und damit gleichzeitig gefährliche Anhäufungen von den Gefäßen und Weichteilgeweben fernzuhalten. Insbesondere die von Vitamin K2 angestoßene Aktivierung von Osteocalcin und Matrix-GLA-Protein (MGP) spielt dabei eine sehr wichtige Rolle.

In Studien wurde gezeigt, dass das durch Vitamin K2 aktivierte MGP Verkalkung von Arterienwänden reduzieren kann, was ein Hinweis darauf ist, dass es dazu beitragen kann, Kalzium aus den Weichteilgeweben, wie auch der Niere zu entfernen (6).


Fazit zu Vitamin K2

Obwohl es aufgrund der mangelnden Datenlage noch keine eindeutigen Beweise für die Wirkung von Vitamin K2 gegen Nierensteine gibt, so spricht einiges für einen präventiven und begleitenden therapeutischen Einsatz des Minerals.


Magnesium – der Vitamin-D-Aktivator und Nierensteinlöser

Verschiedene Studien haben gezeigt, dass die Citratausscheidung bei Steinbildnern deutlich geringer ist als bei normalen Kontrollpersonen, was als Ursache für Nierensteine vermutet wird. Deshalb werden Citratsalze wie z.B. Magnesiumcitrat häufig zur Vorbeugung und Behandlung von kalziumhaltigen Nierensteinen eingesetzt.
Aus gutem Grund, wie eine Metaanalyse aus insgesamt 7 Studien mit 477 Teilnehmer bestätigt. Die Studienautoren schlussfolgern darin wie folgt:

„Citratsalze verhindern die Neubildung von Nierensteinen, reduzieren die Steingröße und reduzieren das weitere Steinwachstum bei Patienten mit Reststeinen, die überwiegend Oxalat enthalten (7).“

Diskutiert werden unter anderem folgende Wirkungen des Citrats:

  1. Erhöhung des pH-Werts im Darm: Citratsalze, wie Magnesiumcitrat oder Kaliumcitrat, erhöhen den pH-Wert des Harns, was dazu beiträgt, dass Oxalationen weniger leicht ausfallen und sich zu Kristallen formen. Ein höherer Harn-pH-Wert wirkt sich positiv auf die Löslichkeit von Kalziumoxalat aus.
  2. Hemmung von Kristallbildung: Citratsalze können die Kristallbildung hemmen, indem sie sich an Kalziumionen binden und die Bildung von Kalziumoxalat-Kristallen verhindern. Dies macht es schwieriger für Kalziumoxalatsteine, sich im Harntrakt zu bilden.
  3. Erhöhung der Harnmenge: Citratsalze haben auch eine harntreibende Wirkung, was dazu führt, dass Sie mehr Urin produzieren. Dies hilft, die Konzentration von Kalzium und Oxalat im Harn zu verdünnen und verringert das Risiko von Nierensteinbildung.

Amerikanische Forscher untersuchten im Jahr 1997 die Wirksamkeit von Kalium-Magnesiumcitrat bei der Prävention wiederkehrender Calciumoxalat-Nierensteine. Bei der randomisierten, prospektiven Doppelblindstudie erhielten 64 Patienten bis zu 3 Jahre lang täglich Placebo oder Kalium-Magnesiumcitrat (42 mq Kalium, 21 mq Magnesium und 63 mq Citrat).
Ergebnis: Neue Steine bildeten sich bei 63,6 % der Probanden, die Placebo erhielten und nur bei 12,9 % der Probanden, die Kalium-Magnesiumcitrat erhielten.
Schlussfolgerungen: Kalium-Magnesiumcitrat beugt wirksam wiederkehrenden Kalziumoxalatsteine vor. Diese bis zu 3-jährige Behandlung reduziert das Risiko eines erneuten Auftretens um 85 % (8).

Eine weitere Studie ergab deutliche hemmende Wirkungen von Magnesium, Citrat und Phytat auf die Bildung von Kalziumoxalatkristallisation, was die Nützlichkeit bei der Behandlung und Vorbeugung von Kalziumoxalatsteine unterstützt. Zusätzlich zur Fähigkeit zur Kristallisationshemmung verhinderten Citrat und Magnesium die Kristallisation von Kalziumoxalat, indem sie dessen Übersättigung verringerten (9).


Fazit zu Magnesium

Magnesiumcitrat schützt vorbeugend gegen Nierensteine, die hauptsächlich Oxalat enthalten und verringert das Ausmaß bestehender Nierensteine. Menschen, die eine Neigung zu Nierensteinen aufweisen, profitieren also gleich doppelt vom Vitamin D-Cofaktor Magnesium, wenn es als Citrat zugeführt wird.


Ganzheitliche Betrachtung und Einordnung der aktuellen Datenlage

Was offensichtlich in der Diskussion regelmäßig vergessen wird, ist die Kalziumzufuhr! Wer kiloweise Käse isst, muss das darin enthaltene Kalzium in irgendeiner Form wieder loswerden. Leider steckt der Körper es nicht in die Knochen, wo wir es gut gebrauchen könnten, sondern scheidet es über die Nieren aus. Im sogenannten „Coimbra Protokoll“ mit seinen hohen Vitamin D-Dosen zur Überwindung der Vitamin D-Resistenz wird daher konsequent eine kalziumarme Ernährung empfohlen.

Die Angst vor Nierensteinen, bestehende Nierensteine und eventuell wiederkehrende Nierensteine sind also kein Grund, auf Vitamin D zu verzichten. Wichtig ist die kombinierte Einnahme mit den Cofaktoren (Magnesium unbedingt als Citrat), dies gilt auch, wenn Vitamin D durch die Sonne gebildet wird.


Quellenangabe:

  1. Tang, J. & Chonchol, M. (2013). Vitamin D and kidney stone disease. Current Opinion in Nephrology and Hypertension, 22(4), 383–389. https://doi.org/10.1097/mnh.0b013e328360bbcd
  2. Tang, J., McFann, K. & Chonchol, M. (2012). Association between serum 25-hydroxyvitamin D and nephrolithiasis: The National Health and Nutrition Examination Survey III, 1988-94. Nephrology Dialysis Transplantation, 27(12), 4385–4389. https://doi.org/10.1093/ndt/gfs29

  3. Nguyen, S., Baggerly, L. L., French, C., Heaney, R. P., Gorham, E. D. & Garland, C. F. (2014). 25-Hydroxyvitamin D in the range of 20 to 100 nG/mL and incidence of kidney stones. American Journal of Public Health, 104(9), 1783–1787. https://doi.org/10.2105/ajph.2013.301368

  4. Johri, N., Jaeger, P., Ferraro, P. M., Shavit, L., Nair, D., Robertson, W., Gambaro, G. & Unwin, R. J. (2016). Vitamin D deficiency is prevalent among idiopathic stone formers, but does correction pose any risk? Urolithiasis, 45(6), 535–543. https://doi.org/10.1007/s00240-016-0954-x
  5. Ganji, M. R., Shafii, Z. & Hakemi, M. S. (2019). Vitamin D supplementation and risk of hypercalciuria in stone formers. PubMed, 13(1), 27–31. https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/30851716

  6. Schurgers, L. J., Teunissen, K. J., Knapen, M. H. J., Kwaijtaal, M., Van Diest, R., Appels, A., Reutelingsperger, C., Cleutjens, J. P. & Vermeer, C. (2005). Novel Conformation-Specific antibodies against matrix Γ-Carboxyglutamic acid (GLA) protein. Arteriosclerosis, Thrombosis, and Vascular Biology, 25(8), 1629–1633. https://doi.org/10.1161/01.atv.0000173313.46222.43

  7. Phillips, R., Hanchanale, V., Myatt, A., Somani, B. K., Nabi, G. & Biyani, C. S. (2015). Citrate salts for preventing and treating calcium containing kidney stones in adults. The Cochrane library, 2015(10). https://doi.org/10.1002/14651858.cd010057.pub2

  8. Ettinger, B., Pak, C. Y., Citron, J. T., Thomas, C., Adams‐Huet, B. & Vangessel, A. (1997b). POTASSIUM-MAGNESIUM CITRATE IS AN EFFECTIVE PROPHYLAXIS AGAINST RECURRENT CALCIUM OXALATE NEPHROLITHIASIS. The Journal of Urology, 158(6), 2069–2073. https://doi.org/10.1016/s0022-5347(01)68155-2

  9. Gráses, F., Rodríguez, A. & Costa-Bauzà, A. (2015). Efficacy of mixtures of magnesium, citrate and phytate as calcium oxalate crystallization inhibitors in urine. The Journal of Urology, 194(3), 812–819. https://doi.org/10.1016/j.juro.2015.03.099

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